Donnerstag, 31. Oktober 2013

Neulich in Mainhattan...



Die U-Bahn fährt Richtung Innenstadt. An der Hauptwache steigen wir aus. Es kommt uns vor, als wären wir gerade in eine neue, eine fremde Welt eingetaucht. Als gingen die Sinne auf Weltreise. Die Ohren schnappen die unterschiedlichsten Worte auf. Doch keines kommt mir bekannt vor. Willkommen in Babylon.

Und auch die Augen wundern sich über die zahlreichen Kopftücher. An der Zeil, inmitten der Menschenströme, stehen bärtige Männer. Sie verteilen den Koran. Vermutlich sind es Salafisten. Auf einem Transparent steht: "Das ist die Wahrheit". Mir ist etwas mulmig. Wir schauen uns ratlos an, doch wir schweigen. Wenige Schritte weiter sitzt eine vollkommen schwarz vermummte Frau (zumindest glaube ich, dass es eine Frau ist) zwischen den Bäumen. Vor ihr steht ein Plastikbecher. Auf unserem Weg durch die Zeil fallen mir noch viele weitere Bettler auf. Die meisten von ihnen völlig verwahrlost. Es ist kein schöner Anblick.

Meine Augen kommen gar nicht zur Ruhe. Wieder nur wenige Meter weiter, verteilt eine zweite Gruppe bärtiger Männer den Koran. Dieses Mal fallen mir auch zwei Männer mit europäischem Aussehen auf. Vermutlich Konvertiten. Auch sie tragen lange Bärte. Ich blicke ihnen direkt in die Augen. Ich suche etwas, irgendetwas. Ein bisschen Leben, Freundlichkeit, vielleicht ein Lächeln? Ich entdecke nichts. Ihre Augen bleiben tot. Ihr Hass auf diese Gesellschaft ist greifbar nah. In mir macht sich Unwohlsein breit. Ich fühle mich in meiner Existenz bedroht. Ein seltsames Gefühl.

Einige Stunden später, es ist mittlerweile dunkel geworden, stehen wir am Geldautomaten der Deutschen Bank an der Konstablerwache. Vor einem Goldankauf in der Nähe tummeln sich finstere Gestalten. Eine kommt auf uns zu. "Ey Jungs, wollt ihr Marihuana kaufen?" Der Überwachungsbereich der Kamera scheint einen Dealer wohl nicht von seinen krummen Machenschaften abhalten zu können.

Bevor es wieder nach Hause geht, wollen wir noch irgendwo einen Absacker trinken. Unser Weg führt uns zurück zur Hauptwache. Die Fußgängerzone ist mittlerweile ziemlich leer gefegt. Doch noch immer liegen/sitzen einige Bettler zwischen den Bäumen oder vor den Eingängen der inzwischen geschlossenen Geschäfte. Es liegen nur etwa 500 Meter Fußweg zwischen den beiden U-Bahn-Stationen, doch es passieren uns mindestens fünf Streifenwagen in regelmäßigen Abständen. Einerseits beruhigend, andererseits irgendwie beunruhigend. Warum diese Präsenz? An einem Wochenende auf der Reeperbahn sieht man nicht so viel Polizei, wie hier binnen weniger Stunden.

Es ist inzwischen nach Mitternacht und wir befinden uns im Hauptbahnhof auf dem Weg zu den Gleisen. Ich registriere eine Gruppe junger Männer, die im Treppenbereich herumlungern. Wir nehmen die Rolltreppe. Ich höre sie gröhlen... Plötzlich läuft eine junge Frau hastig die Treppen neben uns hoch. Die Männer rufen ihr etwas hinterher. Im ersten Moment denke ich, dass sie die ganze Zeit bei der Gruppe war und nun zu ihrem Zug will. Doch dann verfolgt sie einer der Männer. "Ey Baby, willste heut mal so rischtisch geil durschgefickt werden? Isch bin voll geil ey!"

Mir wird übel. Die junge Frau versucht die Treppen noch schneller hochzulaufen. Ihr Verfolger läuft die Rolltreppe hoch. Wir machen uns breit, tun so, als hätten wir ihn nicht bemerkt und blockieren ihn so. Plötzlich klopft mir der Verfolger von hinten auf die Schulter. Mein ganzer Körper ist in Alarmbereitschaft. Meine Hand ballt sich in der Tasche zu einer Faust. Jeder Muskel in meinem Körper ist angespannt, mein Puls rast...

"Ey Alter, hasse die Schlampe gerade gesehen?"
"Nee."
"Die hätt' isch gern mal durschgefickt. Wohin wollter?"
"Nach Hause."
"Was willste da?"
"Ficken."
"Haste ne Schlampe zu Hause?"
"Nee."
"Machste dir erst im Zug klar, ne Alter?!"

Ich bin irgendwie erleichtert, als sich die Türen endlich schließen und sich der Zug in Bewegung setzt. Nein, schön ist dieses Babylon wahrlich nicht. Das ist nicht meine Welt. Noch führen Züge aus Frankfurt heraus, aber irgendwann ist Frankfurt vielleicht überall. Der Gedanke daran bereitet mir Magenschmerzen...

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