Früher jagte ihn die Konkurrenz durch französische Berglandschaften, heute jagt ihn die USADA (United States Anti-Doping Agency). Doch anders als früher, konnte er seinen Gegnern dieses Mal nicht davonfahren, diesmal nicht. Dieses Mal haben sie ihn zur Strecke gebracht. Die Rede ist natürlich von der Radsportlegende Lance Armstrong.
Der siebenmalige Tour-Sieger hat offenbar jahrelang exzessiv und systematisch Doping betrieben. Ach wirklich? Das ist ja schockierend! – Leider kann ich meine Empörung nicht gebührend zum Ausdruck bringen. Den Medien gelingt es irgendwie besser, sich künstlich zu echauffieren und die Verbrennung der Hexe zu fordern.
Aber ehrlich gesagt, ist es doch wenig überraschend und damit auch alles andere als skandalös. Doping im Spitzensport war und ist leider allgegenwärtig, vermutlich gar alltäglich. In der Leichtathletik stehen immer wieder Weltklasseathleten oder gar ganze Nationen im Verdacht, systematisch zu dopen. Es ist bekannt, dass Sportler der DDR, der Sowjetunion und auch der USA bei ihren Spitzenleistungen gedopt waren und dabei von Funktionären der Verbände unterstützt wurden.
Der Radsport ist in Sachen Doping da keine Ausnahme. Vielmehr ist er die Speerspitze. Sozusagen die Gourmet-Dopingküche des Sports. Nicht umsonst „leidet“ ein Großteil der Radprofis angeblich an Asthma. Zur Behandlung ist nämlich der Einsatz von Cortison und Steroiden legitim. Beides sind leistungssteigernde Substanzen.
In den drei Jahren bevor Lance Armstrong zum Tour-Dominator und Seriensieger avancierte, trugen sich Bjarne Riis, Jan Ullrich und Marco Pantani in die Liste der Titelträger ein. Alle drei wurden mittlerweile des Dopings überführt. Nach Armstrongs Rücktritt siegten unter anderem Alberto Contador und Floyd Landis bei der Tour de France. Beiden wurden die Triumphe nachträglich aberkannt.
Weitere Spitzenfahrer wie Fränk Schleck und Alexander Winokurow erhielten ebenfalls Dopingsperren. Letztgenannter gewann übrigens bei den diesjährigen Olympischen Spielen in London – mit stolzen 38 Lenzen – völlig überraschend das Straßenradrennen. Auch im deutschen Radstall Team Telekom, um die Spitzenfahrer Jan Ullrich und Eric Zabel, war Doping in den 90er Jahren nicht die Ausnahme, sondern die Regel.
Die Annahme, dass sich überhaupt jemand in der Weltspitze des Radsports behaupten kann, ohne auf illegale Substanzen und Praktiken zurückzugreifen, scheint schlichtweg utopisch und naiv. Kann es daher überhaupt noch überraschen, dass auch der Rekordchampion gedopt war? Es darf nicht mehr überraschen! Armstrong und weitere Kollegen wurden sogar vom internationalen Radsportverband UCI gedeckt, um das Image des Sports nicht weiter zu ramponieren.
Der Radsport ist zweifellos ein unsauberer Sport und ein höchst unmoralisches Geschäft. Doch wird das systematische Doping nicht durch die Rollen der Ärzte, Funktionäre, Betreuer, Verbände und Sponsoren überhaupt erst ermöglicht? Letztendlich müssen die Fahrer sich natürlich auch gegenseitig schützen und nach außen dicht halten. Nur in einem solch abgeschlossenen System ist Doping in diesem Ausmaß möglich. Und doch ist der Fahrer vermutlich das kleinste Rädchen in der Doping-Maschinerie. Entweder er versucht alles, um in die Weltspitze vorzudringen, oder er verschwindet wieder in der Versenkung.
Die Jagd auf den Rekordchampion gleicht einer Hexenjagd. In puncto Doping ist er eben nicht die erhoffte Ausnahme, sondern die Regel. Ja, Lance Armstrong war bei seinen Siegen gedopt. Seine ärgsten Konkurrenten jedoch ebenfalls. Armstrong war ein unglaublich ehrgeiziger Sportler, der sich nach einer schweren Krebserkrankung an die Weltspitze gekämpft hat. Allein das nötigt mir höchsten Respekt ab. Und während sich sein langjähriger Konkurrent Jan Ullrich die Weihnachtsgans schmecken ließ und Pfunde anfutterte, saß Armstrong längst wieder im Sattel und bereitete sich verbissen und akribisch auf die nächste Tour vor.
Man muss ihm auch zugutehalten, dass er seine Triumphe sowie seine Popularität stets für gute Zwecke nutzte. So hat seine Krebsstiftung Livestrong beispielsweise seit ihrer Gründung im Jahr 1997 bereits mehr als 470 Millionen Dollar an Spendengeldern gesammelt. Unvergessen ist auch seine sportliche Fairness, als er bei der Tour 2001 nach einem Sturz Ullrichs auf diesen wartete.
Armstrong war ein absoluter Ausnahmeathlet und seinerzeit schlicht der Beste in einem unsauberen Sport. In einem Spiel mit gezinkten Karten, gewinnt immer ein Falschspieler. Armstrong hat das Spiel gewonnen, aber er ist weder der Kartengeber, noch der Erfinder des Spiels. - Hate the sin, not the sinner!
Die wahren Schuldigen sind die Ärzte, die diese gefährlichen, verbotenen Substanzen entwickeln und den Sportlern verabreichen, die Funktionäre und Teammanager, die ihre Fahrer gleichermaßen ermutigen und decken, sowie die Sponsoren, die das Doping finanzieren.
Erbärmlich sind auch Armstrongs ehemalige Weggefährten, die nun für die Anklage auftreten. Sie alle hatten jahrelang die Möglichkeit, sich des Dopings zu verweigern und/oder die Schuldigen anzuklagen. Aber sie duckten sich lieber weg, machten mit und genossen es, in Armstrongs Schatten zu Ruhm zu gelangen. Armstrong jetzt ans Messer zu liefern, nur um die eigene Haut zu retten, ist feige und rückradlos.
Die entbrannte Hetzjagd auf Armstrong ist schlichtweg verlogen. Als versuchte man einer Hydra den Kopf abzuschlagen. Armstrong ist zweifellos eine Ikone des Radsports, aber vor und nach ihm gab es andere, die auf die gleiche unsaubere Weise triumphierten. Und sie alle hatten Komplizen und Hintermänner, die das Dopen ermöglichten, finanzierten und verschleierten. Das Wohl und Wehe des Radsports hängt also nicht von einem Schuldspruch Armstrongs ab.
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