Sonntag, 9. Dezember 2012

Er ist wieder da...

Die Nachricht von seinem Tode war stark übertrieben. Wir schreiben das Jahr 2011 und Adolf Hitler erfreut sich bester Gesundheit. Wie ein Terminator, durch Zeit und Raum geschickt, erwacht er in einem Berliner Hinterhof, um die Zukunft zu verändern. Es muss Vorsehung sein. Nach kurzer Eingewöhnungszeit schickt sich der Führer an, die Macht erneut zu ergreifen.

Mit der Zeit muss Adolf Hitler jedoch feststellen, dass sich in seiner 66 Jahre währenden Abwesenheit so einiges verändert hat. An Kiosken werden türkische Zeitungen verkauft, die Blitzreinigung heißt „Yilmaz“ und die Sprachkenntnisse der Jugend gleichen „einem Sprachverhau, von geistigem Stacheldraht durchzogen, von mentalen Granaten zerpflückt wie die Schlachtfelder der Somme.“

Es ist herrlich erfrischend, wie der Führer sich durch das Fernsehprogramm zappt und aus lauter Zorn über den gezeigten Wahnsinn, die Lust verspürt, mit der Flak mal ordentlich in das versammelte Lügengesindel eines Shoppingkanals hineinzuhalten. Und als ihm auf einem anderen Kanal zum wiederholten Male eine Stimme die Ereignisse der letzten fünf Minuten um die Protagonisten Cindy und Mandy zusammenfasst, schreit er den Fernseher an: „Ich bin doch nicht senil!“

Der erbärmliche Zustand des deutschen Volkes, der Medienlandschaft und der Politik, lassen für Hitler nur einen Schluss zu: Es bedarf der messerscharfen Analytik, der weitsichtigen Politik, der Erfahrung und der Herrschaft des Führers! Wer sonst sollte das deutsche Volk erretten? Etwa die klobige Kanzlermatrone „mit der zuversichtlichen Ausstrahlung einer Trauerweide“?

Über eine Ethno-Comedy-Sendung im Fernsehen bahnt sich der Führer seinen Weg zurück an die Spitze. Er verstand es schon einmal, das Volk hinter sich zu bringen. Warum sollte das nicht acht Jahrzehnte später erneut funktionieren?

Man sagt, der Unterschied zwischen einer Tragödie und einer Komödie, sei der Zeitfaktor. Und tatsächlich ist dieser Führer eine herrlich schräge Figur, die mit ihrer eigenen Logik, einer hervorragenden Rhetorik sowie exzellenter Menschenkenntnis und –führung besticht. Er spricht aus, was viele denken und wenn er mal wieder über das Ziel hinausschießt, so wird es ihm nachgesehen, weil er es schließlich in seiner vermeintlichen Rolle des Führers, als Kunstfigur, sagt.

Sein anfängliches Ansinnen, die Medien gleichzuschalten, verwirft der Führer schnell. Diese Medienlandschaft bedarf keiner Gleichschaltung. Die (freiwillige) gegenseitige Bespiegelung der Medien erfüllt den gleichen Zweck. Selbst die anfängliche Empörung der Bild-Zeitung über die geschmacklosen Hasstiraden des neuen Hitlers, nutzt dieser geschickt aus und enttarnt die Bild schließlich als das heuchlerische Schmierenblatt, das es ist.

Ein Höhepunkt ist zweifellos der Besuch der NPD-Parteizentrale. Holger Apfel und seine Anhängerschaft treiben dem Führer die Zornesröte ins Gesicht. Er bezeichnet die ganze Partei als „einzige Schande für das deutsche Volk“ und resümiert für die anwesenden Reporter: „Ein anständiger Deutscher hat hier nichts verloren.“ Und auch wenn der Führer es sicherlich anders gemeint hat, in der Sache mag man ihm hier gerne beipflichten.

Der Klappentext ist durchaus als Warnung zu verstehen. Tatsächlich ertappt sich der Leser dabei, wie er nicht über Hitler, sondern mit ihm lacht. Mehr noch, die Figur des Führers wirkt derart sympathisch, dass die Historizität der Verbrechen Adolf Hitlers in Vergessenheit zu geraten droht. Doch glücklicherweise hat Timur Vermes die wahnwitzige Rassenlehre, das menschenverachtende Weltbild und den Rassenhass seines Protagonisten nicht ausgespart.

Ein Kunstgriff des Autors, der dem Leser eine allzu große Identifikation mit der Figur unmöglich macht. Dem Führer selbst schaden seine Ansichten indes nicht, da im Kosmos des Romans niemand vermag, seine wahren Bestrebungen und Motive zu erkennen. Jeder hält ihn für eine schrullige Kunstfigur mit verblüffender Authentizität. Auf diesem Irrtum beruhen unzählige komische Situationen.

„Er ist wieder da...“ ist eine bitterböse Satire, die diese Gesellschaft in ihren Grundfesten erschüttert. Nun mag man sich sicher fragen, ob es tatsächlich der Figur Adolf Hitlers bedarf, um uns den Spiegel vorzuhalten. Und darf man überhaupt mit dieser Figur sympathisieren? Sicherlich hätte jeder andere intelligente Zeitreisende ebenso gut für eine solche Gesellschaftspersiflage herhalten können, der Führer aber verleiht dem Ganzen eine unnachahmliche humoristische Note.

Timur Vermes Erstlingsroman überzeugt auf ganzer Linie. So absurd die Handlung auch erscheinen mag, sie wirkt nie zu gestelzt und verkommt auch nicht zu reinem Klamauk. Die Komik basiert hier nicht etwa auf einer Verballhornung Hitlers - wie es in der Comedy-Welt schon fast üblich ist 
- sie entsteht durch die Interaktionen des Protagonisten mit seiner neuen Umwelt. Darüber hinaus gewinnt die Figur des Führers durch die zahlreichen historischen Rekonstruktionen enorm an Tiefe.

Die subtile, spitzzüngige, humoristische Form der Gesellschaftskritik macht „Er ist wieder da...“ zu einem heiteren Lesevergnügen.


Prädikat: absolut lesenswert

7 Kommentare:

  1. ich bin dir gerade sehr dankbar für diese rezension, weil ich schon länger überlege, ob ich das nun lesen soll oder nicht.(;

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    1. Schön, dass ich helfen konnte. Sofern du dich dazu entschließen solltest, den Roman zu lesen, wäre ich erfreut, wenn du anschließend deine Eindrücke schildern würdest.

      Im Übrigen kann ich in diesem Zusammenhang den Kindle (oder alternativ die Kindle App) wärmstens empfehlen. Die ersten ein, zwei Kapitel jedes Buches kann man so als kostenlose Leseprobe testen. Bisher wurde ich von meinen ersten Eindrücken noch nicht enttäuscht.

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  2. Genial :) Bin seit ein paar Tagen im Besitz des Buchs und noch sehr gespannt! :)

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  3. Hallo zusammen,

    ich habe diesen Blog über Google mit dem Stichwort "Kanzler-Matrone" gefunden.
    Ich hab das Buch in Form eines Hörbuches genossen. Es ist klar, dass niemand anderes als Christoph Maria Herbst das Hörbuch lesen darf...

    Ja, ich habe mich an der einen oder anderen Stelle auch gefragt, ob ich das lustig finden darf... ja ich darf. Und ich find's lustig. Sogar sehr! Es ist einfach köstlich, wie Vermes mit der Sprache und mit der Figur Hitler spielt. Wenn er beispielsweise einen Müsliriegel als etwas beschreibt, das "aussieht, wie industriell gepresstes Korn" und sich bei der Betrachtung überlegt, was wohl aus dem deutschen Brot geworden ist.
    Sehr gelungen ist der Transport alltäglicher neuzeitlicher Gegenstände in die Sprache des "Führers".

    Leider ist das Hörbuch gekürzt, dennoch würde ich es jedem empfehlen, dessen Humor so schwarz ist, dass er Baumwolle pflücken könnte :-)

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    1. Was wohl der Führer zu so einem neuzeitlichen Gegenstand wie dem Hörbuch sagen würde? :P

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    2. Womöglich würde er empfehlen es bei offenen Fenster in hoher Lautstärke erklingen zu lassen, egal ob man nun mit dem Kraftwagen durch die Großstadt braust oder nur zu Hause es über sich ergehen lässt ... wogleich zu hoffen sei (oder in "seiner" Vorstellung "zu hoffen es gilt") dass das Zuhause dann in einer belebten Ecke ist, wo viele Menschen vorrüberziehen.
      Ich persönlich würde das nicht vorschlagen, aber halte dieses Werk - Hörbuch - für ganz vorzüglich gelungen. Der Stromberg hat frei nach seinem Motto "Laß das mal den Papa machen" sich ganz schon Mühe gegeben. Er konnte einem teilweise richtig Leid tun in seiner Rolle. ;-)

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  4. Der Führrer ist in diesem Buch ein Spiegel unserer Gesellschaft und das Hörrbuch ein echter Publikums Magnet.

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