Sonntag, 31. März 2013

Reise, Reise - Rise!

Es ist schwer das Glück zu erfassen. Weit weniger schwierig ist es dagegen, Unglück zu erfahren. „Von drei Seiten droht das Leiden: vom eigenen Körper her, der zu Verfall und Auflösung bestimmt sogar Schmerz und Angst als Warnungssignale nicht entbehren kann, von der Außenwelt, die mit übermächtigen, unerbittlichen, zerstörenden Kräften gegen uns wüten kann, und endlich aus den Beziehungen zu anderen Menschen“ (Freud, 1930).

Subjektiv empfinden wir das Leiden, das aus letztgenannter Quelle erwächst als die schmerzhafteste Weise. „Niemals sind wir ungeschützter gegen das Leiden, als wenn wir lieben, niemals hilfloser unglücklich, als wenn wir das geliebte Objekt oder seine Liebe verloren haben“ (Freud, 1930). Es ist unsagbar schmerzlich, einen geliebten Menschen durch den Tod zu verlieren, noch schmerzhafter aber ist es, einen lebenden Menschen zu verlieren. Noch dazu, wenn es sich dabei um den Menschen handelt, für den man sich aufgeopfert hat, für den man alles gegeben, mit dem man die schönsten Momente erlebt hat und die besten Erinnerungen teilt.

Die Welt da draußen mag scheiße sein, doch solange deine eigene heile Welt funktioniert, ist eigentlich alles in Ordnung. Doch was, wenn diese Welt plötzlich und aus heiterem Himmel zerbricht? Der geliebte Mensch sich wortlos von dir entfernt, ohne dir zu sagen warum, keine Erklärung, kein letzter Kuss, kein Wort des Bedauerns, keine Verabschiedung – einfach so. Dieser Mensch besaß nicht einmal mehr den Anstand, dir ein letztes Mal in die Augen zu sehen...

Und da fragen sich manche Menschen noch, warum man zum Misanthropen wird. Wieder und wieder durchlief ich die ersten vier Phasen der Trauer (Leugnen, Wut, Verhandeln, Depression). Stets geplagt von der verdammten Frage nach dem Warum.

Diese Depression erreicht ihren Tiefpunkt in der Erkenntnis, dass sich der (ehemals) geliebte Mensch nicht nur darüber im Klaren ist, dass es einem furchtbar dreckig geht, er ist auch der Grund dafür und es kümmert ihn nicht im Mindesten. Nicht mehr. Spätestens da möchte man sich die Seele aus dem Leib kotzen...

Bald darauf fand ich mich in einem Flugzeug wieder. Da hatte jemand die grandiose Idee, mich zu einer Reise zu überreden, frei nach dem Motto: Wenn du nur weit genug verreist, werden dich deine Sorgen schon nicht finden.

Die Erinnerungen hatten sich jedoch mit an Bord geschlichen. Der Gedanke an den Verlust kam unausweichlich und mit ihm dieses ungute, leere Gefühl in der Magengegend und diese Stiche in der Brust. Nach der Landung konnte ich die schmerzlichen Erinnerungen jedoch vorerst beiseite schieben. Tagsüber war gar kein Platz mehr für sie. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt, die Sonne, die Aktivitäten, kurzum das Hier und Jetzt zu genießen.

Nur abends im Bett, da waren sie wieder präsent, diese schmerzhaften Erinnerungen. Zum Glück fielen mir alsbald vor Müdigkeit die Augen zu und der Mantel der Nacht legte sich wie ein Pflaster über die Wunde.

Es gelang mir immer besser, die unliebsamen Gedanken zu verdrängen. Verarbeitet hatte ich den Verlust aber noch immer nicht. Eine Begegnung im Supermarkt sollte den Wendepunkt markieren. Mehr zufällig erblickte ich eine hübsche Frau. Obwohl ich mich gerade in einem Gespräch befand, konnte ich meine Augen nicht von ihr abwenden, als sie an mir vorbeilief. Sie erinnerte mich an meine Ex. Wir liefen uns noch einmal zwischen den Regalen über den Weg, ehe wir uns schließlich an der Kasse zum dritten Mal begegneten. Unsere Augen trafen sich. Sie lächelte mich an. Ich lächelte zurück. Dann griff sie sich ihre Einkaufstüten und verschwand. In dieser Nacht dachte ich zum ersten Mal nicht mehr an meine Verflossene...

Am nächsten Morgen machten wir uns auf den Weg, einen Berggipfel zu erklimmen. Nach einem langen und anstrengenden Marsch, erfreuten wir uns eines schier unbeschreiblichen 360-Grad-Panoramas. Auf einem Felsen sitzend, genoss ich die atemberaubende Aussicht. Vor meinem geistigen Auge ließ ich die Erlebnisse der letzten Tage Revue passieren... aber dann... Da waren sie wieder, diese unliebsamen Gedanken. Doch ich ertappte mich dabei, wie ich noch immer lächelte. Ich erinnerte mich an die Person, die mich durch die Hölle geschickt hat und ich lächelte einfach weiter...

„Das hier, das ist so viel besser, so viel realer, so viel lebendiger als meine kranke Liebe, zu dieser Gestörten! Das hier fühlt sich verdammt gut an“, dachte ich. – Plötzlich tat es nicht mehr weh. Mein Lächeln wurde zu einem breiten Grinsen. Endlich, die finale Phase: Akzeptanz.

In meinem Kopf wurde meine persönliche Wiedergeburt von Kid Kopphausens „Das Leichteste der Welt“ begleitet:

„Ich lerne langsam wieder Laufen und Sprechen 
Ich gebe den Dingen einen Namen
[...]

Ich will mich wieder wundern, will erstaunt sein
Will wie der allererste Mensch
Mit neuen Augen zwischen den Dingen stehen
Und nichts wiedererkennen
Die Schritte setzen durch Wälder und Wiesen
Und sagen: Ja es ist gut – ist gar nicht so schlecht
[...]“


Und auch wenn ich mit der Religion auf Kriegsfuß stehe, so finde ich doch Gefallen daran, dass ich ausgerechnet heute die Zeit gefunden habe, die therapeutische Wirkung meiner Reise in Worte zu fassen. Treffenderweise fühle ich mich auch wie Jesus am Ostersonntag.

In diesem Sinne, frohe Ostern!

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