Donnerstag, 4. Oktober 2012

Verehrung der Einfältigkeit

Wie schlecht muss es um eine Gesellschaft bestellt sein, in der ein äußerst einfältiger junger Mann über Nacht berühmt wird, weil er bei Günther Jauch auf dem Ratestuhl saß? Dabei fiel er nicht etwa durch Wissen, Witz und Charme auf, vielmehr sorgten seine Torheit und der mehr als nachlässige Umgang mit der deutschen Sprache für Fremdschämmomente.
Und doch begeistern sich plötzlich Tausende für einen Berliner Kiosk-Besitzer. Menschen wollen Autogramme und Fotos, keine Zeitung, die nicht über ihn berichtet, über 20.000 Likes auf Facebook und weitere TV-Auftritte bei „Stern-TV“, „Markus Lanz“ und demnächst auch noch bei „Wetten dass?“.

Paradoxerweise scheint die Attraktion selbst noch der normalste Mensch in diesem Zirkus zu sein, schließlich ist ihm der Hype um seine eigene Person völlig schleierhaft. Sicher, das könnte auch dem mangelnden Intellekt geschuldet sein, doch was die Selbsteinschätzung betrifft, hatte Aaron Troschke im Talk mit Lanz einen Moment erstaunlicher Klarheit: „Ich kann absolut gar nichts“.

Wie Recht er damit doch hat. Nur Dank Jauchs wohlwollender Hilfe kam der Berliner darauf, dass ein Tunnelzug gedacht ist, die Hose am Körper zu halten oder dass das Wort „ungemein“ synonym zu „äußerst“ und „enorm“ genutzt wird. Rechnen gehört ebenfalls nicht gerade zu den Stärken des Kiosk-Besitzers, setzte er doch 10/9 mit 90 Prozent gleich.

Das war dann auch gleichzeitig das Signal für mich – trotz Langeweile – abzuschalten. Reicht es nicht, dass man sich in diversen Casting-Formaten schon über die Dummheit und die Talentfreiheit von Menschen lustig macht? Sollte das Fremdschämen auch fester Bestandteil von Quizsendungen sein? Warum überhaupt glauben ungebildete Menschen, in einer Sendung, in der es um Quizwissen geht, punkten zu können?

Wieso begeistern sich Menschen und Medien für einen solchen Kreisligaverstand? Einst verlor er seinen Job, weil er in einem Getränkemarkt arbeitend Pfandbetrug beging, für eine Beute von drei Euro. Doch anstatt eine solche Dummheit zu tadeln, erntete Troschke Applaus vom Publikum. Ein anderer Talkgast kommentierte die Aktion des Pfandbetrugs gar als „clever“. Und das frei von jeglicher Ironie!

Als wäre es nicht dumm genug, seinen Arbeitgeber zu betrügen und einen Jobverlust wegen drei Euro zu riskieren, war er ja auch noch so dumm, sich dabei erwischen zu lassen. Nein, „clever“ war das nun wirklich nicht und Beifall hat eine solche Handlung erst recht nicht verdient! Ebenso wenig Troschkes letzter Facebook-Post. Wie kann man die deutsche Sprache nur so vergewaltigen? Rechtschreibung ist doch kein Open Source Programm!

Eine Gesellschaft, die Dummheit und Einfältigkeit preist, ist krank. Sie suggeriert, dass es sich dabei um wünschenswerte Zustände handelt und setzt damit gefährliche und kontraproduktive Reize. Andererseits verleitet sie gebildete Individuen dazu, sich angewidert von der Gesellschaft abzuwenden. Womöglich schwebte Goethe eine solche Gesellschaft vor, als er Mephisto sagen ließ: „[...] alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht.“

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