Donnerstag, 6. September 2012

Precht – Eine ZDF-Inszenierung des Gala-Philosophen

Am Sonntag startete das ZDF seine neue Philosophie-Talk-Reihe mit Richard David Precht. Selbstverständlich nicht, ohne große Ankündigungen und Vorschusslorbeeren für den Bestsellerautor. Das Thema der ersten Sendung wirkte nicht weniger hochtrabend und reißerisch: „Skandal Schule – Macht Lernen dumm?“

Was Precht und das ZDF dem Publikum dann boten, waren jedoch Plattitüden und Parolen auf Stammtischniveau. 45 Minuten, in denen Precht und sein Talkgast, der Hirnforscher und Schulkritiker Gerald Hüther, vorformulierte Sätze wiedergaben und sich gegenseitig in ihrer vorgefertigten, undifferenzierten Meinung bestätigten. Die ganze Sendung stand im krassen Widerspruch zur geäußerten Kritik. Kreativität, Originalität und Frische fehlen offenbar nicht nur im Schulsystem, sondern in eklatanter Weise auch in Prechts eigener Sendung.

Zu leblos, zu gewollt, zu inszeniert war der Talk, als dass er es vermocht hätte, zu inspirieren. Alternative Ideen zum System oder gar Lösungen hatten die beiden nicht parat. Das Konzept der Sendung erinnerte eher an eine amerikanische Wahlkampfveranstaltung als an philosophische Gedankenspielchen. Der politische Gegner wird hemmungslos mit Schmutz beworfen, in der Hoffnung, sich beim Wähler auf diese Weise zu profilieren und in dessen Gunst besser zu stellen. „Negative Campaigning“ nennt sich diese Strategie - müßig zu erwähnen, dass es die primitivste und niederträchtigste Form des (Wahl)Kampfs ist.

In den Augen der beiden Chefkritiker hat das deutsche Schulsystem in dieser Form keine Zukunft. Potentiale der Kinder würden nicht nur nicht gefördert, sie würden sogar zerstört. Auch Kreativität und selbstständiges Denken seien unerwünscht. Ein solches System könnten wir uns gar nicht länger leisten, da das Lernen keinen Spaß machte und das Gelernte aufgrund fehlender emotionaler Verknüpfungen auch schnell wieder in Vergessenheit gerate. Vermittelt würden die falschen Inhalte von den falschen Leuten.

Hüther wartete sogar mit der äußerst eigenwilligen These auf, jedes Kind sei auf seine eigene Weise hochbegabt. Endgültig disqualifizierte er sich aber, als er eine Kausalität zwischen dem Schulsystem und Alkoholismus ausgemacht haben wollte. Von der Wissenschaft hatten sich Precht und Hüther zu diesem Zeitpunkt bereits meilenweit entfernt. Überhaupt, hatten sie es zu keiner Zeit darauf abgesehen, das Thema sachlich korrekt zu analysieren. Der interessierte Zuschauer wünschte sich verzweifelt ein Gegengewicht zu dieser einseitigen und oberflächlichen Systemschelte, wurde aber nicht erhört.

Das deutsche Schulsystem ist sicherlich reformbedürftig. Aber zunächst einmal muss doch die Frage gestattet sein, warum Änderungen nötig sind. War das Schulsystem immer schlecht? Wie ist es möglich, dass Deutschland trotz eines solchen Schulsystems z.B. eine Spitzenposition bei der Anmeldung von weltmarktrelevanten Patenten innehat? (Im Vergleich zu den USA sind es sogar doppelt so viele pro Einwohner)

Das System hat der Gesellschaft in der Vergangenheit also durchaus gute Dienste geleistet. Sind möglicherweise veränderten Rahmenbedingungen dafür verantwortlich, dass heute 5-10% der Schulabgänger ohne Abschluss bleiben? Vielen Schulanfängern fehlt es mittlerweile an den elementarsten Dingen: Erziehung und Sprachkenntnissen. Erziehung ist das Fundament jeglicher Bildung. Ist ein Kind nicht beschulbar, wird es die Grundlagen nicht erlernen können und jede höhere Bildung wird ihm verwehrt bleiben.

Ein bekannter Hundetrainer sagte kürzlich, dass man einem Hund kaum Schlimmeres antun könnte, als ihn nicht oder nur unzureichend zu erziehen. Der Hund wäre völlig unfrei, müsste ein Dasein an der Leine und im heimischen Umfeld fristen. Beim Menschen ist das kaum anders. Ein Kind, das keine vernünftige Erziehung genossen hat, nicht gelernt hat zu gehorchen, Autoritäten und andere Menschen zu akzeptieren, wird ebenfalls die Freiheit versagt bleiben, sich entfalten zu können.

Doch kann die Schule überhaupt mögliche Versäumnisse in der Erziehung und Lücken in der Primärsozialisation kompensieren? Die Primärsozialisation ist mit emotionaler Identifikation verbunden und daher prägender und tiefer verwurzelt als die sekundäre Sozialisation. Möglichkeiten der Schule, korrigierend einzugreifen sind also zumindest limitiert.

Schule sollte Anleitung zur Selbstbildung sein, darin waren sich immerhin auch die beiden Chefankläger einig. Dazu ist aber das Erlernen von Lese- und Rechtschreibkompetenzen sowie mathematischer Grundlagen unerlässlich. Und gerade diese Fähigkeiten eignet man sich nur durch ständiges repetieren an. Man kann den Kindern das Erlernen dieser Kompetenzen nicht freistellen. An dieser Stelle ist kein Raum für Kreativität. Eine Anleitung durch einen Lehrer ist hier wenn nicht notwendig, so doch zumindest sinnvoll.

Kinder müssen auch Kinder sein dürfen. Man sollte sie nicht mit den Problemen der Erwachsenen belasten. Das sind zwar auch Plattitüden, ich versuche jedoch, sie in den folgenden Sätzen mit Bedeutung zu füllen. Es dauert sehr lange, bis ein Kind selbst entscheiden kann, was gut für es ist. Und bis es soweit ist, müssen Eltern und Lehrer dies bestimmen. Kinder haben kein Selbstbestimmungsrecht und müssen auch nicht jede Erfahrung „selbstständig“ machen. Oder sollte ein Kind etwa selbst herausfinden, wie es am besten eine befahrene Straße überquert? Das Kind, dem das Überqueren beigebracht wurde, dürfte einen entscheidenden evolutionären Vorteil gegenüber anderen haben – es lebt!

Wenn der Grundstein zur Selbstbildung gelegt wurde, ist freilich ein selbstständigeres, kreativeres Lernen möglich und auch wünschenswert. Bis dahin ist es jedoch ein weiter und beschwerlicher Weg. Und um auf einem Gebiet herausragende Leistungen abrufen zu können, sind ständiges Training und unzählige Wiederholungen erforderlich.

Philosophisch war der neue Spät-Talk im ZDF wahrlich nicht. Doch Precht ist längst im Boulevard angekommen, hat es sich im Fernsehen gemütlich gemacht und lacht von Hochglanzseiten. Precht, das ist vor allem eine Marke. Ein Produkt der Kulturindustrie, das sich dem Publikum anbiedert und nach dessen Aufmerksamkeit und Anerkennung giert.

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